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Qualifizierung

Theaterpädagogik an der #Kreuzeiche

Vorhang auf: Wie Theaterpädagogik in einer Klasse Vertrauen stärkt

Wer sind meine Mitschüler*innen?
Wie werde ich mich mit ihnen verstehen?
Wie werden mich die Lehrkräfte einschätzen?
Worauf kommt es an?

Die erste Zeit in einer neuen Klasse ist gekennzeichnet durch Unsicherheit und dem Wunsch nach Orientierung.  Schüler*innen kommen in einem Verbund zusammen, den sie nicht selbst mitbestimmt haben, aber in dem sie angehalten sind positive Lernkontakte zu knüpfen. Die genannten Fragen bewegt eine Klasse sehr individuell und in unterschiedlicher Gewichtung. Es ist sicher eine sensible Zeit, in der sich Rollen vorsortieren und Arbeitsatmosphären entwickeln. Es ist auch eine Zeit der Stille, in der Schüler*innen gut überprüfen, wie sie sich beispielsweise im Plenum ihrer neuen Klasse äußern und gleichzeitig erspüren, welche Resonanz darauf erfolgt. Oftmals entscheidet die kleinste Reaktion aus der Gruppe darüber, ob ein weiterer Beitrag geteilt werden möchte oder eine Zeitlang abgewartet wird. 

In dieser besonderen Anfangsphase also, demnach in den ersten sechs Wochen eines Schuljahres, werden beide BK-Kurse an unserer Evangelischen Fachschule in Theaterpädagogik unterrichtet. Dabei wird dieses Handlungsfeld, wenn wir es so benennen mögen, ohne Leistungsnachweis oder Klassenarbeit gestaltet. Eine curriculare Entscheidung, die Raum eröffnet sich auszuprobieren, Sicherheit in der eigenen Präsenz zu gewinnen und sich zunehmend in der Klasse wohlzufühlen.

Der Unterricht findet in unserem Festsaal statt, der ohne Tische und Stühle ergänzende Begegnungen ermöglicht. Dabei spielt der Raum tatsächlich eine wichtige Rolle. Zu Beginn eines jeden Unterrichtsblocks sind die Schüler*innen aufgefordert einen Raumlauf zu gehen. Das heißt die Schüler*innen gehen durch den Raum und achten auf ein visuelles Gleichgewicht. Dabei werden sie angehalten, in unterschiedlichen Tempi zu gehen und sich zu fokussieren. Das schnelle Reagieren auf Spielkommandos erleichtert das Ankommen im Hier und Jetzt. Im vorübergehenden Kontakt wird jedes Lächeln erwidert und jede Freundlichkeit in jedem Blickkontakt neu gegeben.

Die Klassen werden in gemeinsamen, theaterpädagogischen Spielen angeleitet und entwickeln neben einer grundlegenden Spielbereitschaft auch ein (theatrales) Ausdrucksvermögen. Mit Hilfe des 3-Bälle Spiels erarbeitet sich die neue Klasse „demokratische Führungsjoker“ (vgl. Plath, M. 2017, 74ff). In dem die Klasse drei unterschiedliche Wurfrichtungen pro Ballfarbe etabliert, übt sich die Gruppe darin, Fokus aufzunehmen und zu halten, und kommt damit in die Konzentration auf das Tun im Hier und Jetzt. Einen Ball verantwortungsvoll zu werfen bedeutet, darauf zu achten, dass das Gegenüber diesen fangen kann. Das kann dann gewährleistet werden, wenn zuvor Blickkontakt gesucht wurde, um den Wurf anzukündigen. Wenn eine Klasse mit diesen Regeln umgehen kann, entsteht ein gemeinsames Flow-Erleben, das die Schüler*innen sehr erfreut und stärkt.

Theaterpädagogik bietet zahlreiche Möglichkeiten, um sich in einem so Tun als ob Umfeld spielerisch und begleitet auszuprobieren. Der gegenseitige Umgang ist respektvoll ausgerichtet und meint damit auch die Wahrung persönlicher Grenzen. Das heißt, Schüler*innen werden gestärkt, eigene Widerstände zu benennen und Einspruch zu erheben. Dabei bleiben sie aber gleichsam in der Verantwortung und lernen ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu ergänzen. Ein blindes Führen im Raum kann dann gewinnbringend reflektiert werden, wenn die Schüler*innen zuvor das eigene Veto benennen können.

Das eigene Veto-Recht bewusst einzusetzen, üben Schüler*innen in dem sie zum Beispiel nach einer Stoffblume greifen oder auch nicht, um Applaus oder eben nicht zu erhalten. Diese Entscheidung bewusst zu treffen, lässt neue Lernerfahrungen zu. Schüler*innen, die sich im weiteren Schritt für das Ergreifen der Blume entscheiden, entscheiden auch über die Dauer des Applauses. Hier stehen wir auf der Stufe der Mitbestimmung im Rahmen der Partizipationstreppe. Das gemeinsame Improvisieren schafft viel Platz für Humor und Lachen. Denn bekanntlich ist das gemeinsame Lachen in Gruppen ein verbindendes Element.

Zu improvisieren bedeutet auch, den eigenen Mutmuskel in die Dehnung zu bringen. Zu erfahren, wie sich glücklich scheitern anfühlt, ist für eine Klasse eine wichtige Erfahrung. Improvisieren zu können, das heißt mit der eigene Unvorbereitetheit umzugehen, ist eine wertvolle Ressource. Wenn Schüler*innen gemäß des Spielprinzips Zug um Zug eine Stuhlskulptur erbauen, so haben sie in den Grundzügen eine gelingende Teamarbeit erlebt. Ohne verbale Kommunikation werden, zu vorgegebenen Themen, Stuhl für Stuhl in eine Anordnung gebracht, die zuvor nicht abgesprochen ist. Die Gruppenmitglieder arbeiten hierbei nacheinander und in Bezug zueinander. 

Erst dann, wenn eine Klasse praktisch erfahren hat, was es heißt, sich auf jemanden verlassen zu können, Fürsorge und Verantwortung zu erfahren, partizipieren zu können trotz Veto-Recht, eigene Grenzen zu benennen und die der anderen wahren zu können, wird ein Grundvertrauen in der neuen Klasse ermöglicht. Das Instrument der „Lieblingsmomente“ (vgl. ebenda, 114) leitet die Schüler*innen an, besondere Erfahrungen zu benennen und miteinander zu teilen. Das Experimentieren im sicheren und angeleiteten Raum ist eine besondere Dynamik, die es den Schüler*innen ermöglicht, sich vertieft kennenzulernen und sich ganzheitlich zu erfahren.

Go for it!

Martina Ruggeri-Neuscheler, Dozentin, Theaterpädagogin